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Prof. Dr.-Ing. Gunnar Grün, Fraunhofer-Institut für Bauphysik, im Gespräch mit re!source

Gunnar Grün ist Bauingenieur und seit 2019 Professor für das Lehrgebiet der Bauphysik an der Universität Stuttgart. Seit 2016 ist er stellvertretender Leiter am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP. Unsere Redaktion sprach mit Gunnar Grün über neue Lösungen zur Nutzung von Bauschutt, einem der weltweit größten Abfallströme:

Herr Prof. Grün, bei der Jahreskonferenz der re!source Stiftung im September 2022 haben Sie auch Lösungen für die Nutzung von Bauschutt vorgestellt, um qualitativ hochwertige, homogene und schadstoffneutrale Rezyklate zu erzeugen. Worum geht es dabei?
Wir wollen ein echtes Recycling von Baustoffen ermöglichen, also eine qualitativ gleichwertige Weiterverwendung von sekundären Rohstoffen aus Abbruchmaterialien und Bauschutt. Damit wollen wir letztlich Baumaterialien aus anthropogenen Rohstoffquellen wiedergewinnen. Außerdem möchten wir die Akzeptanz für Baustoffe erhöhen, die aus sekundären Rohstoffen hergestellt werden. Denn es gibt nach wie vor Vorurteile gegenüber Bauprodukten aus Bauschutt, wonach deren Qualität nicht dem Original-Material entspräche oder Heterogenität und Schadstoffbelastungen den Wiedereinsatz verhindern würden. Das IBP hat jedoch mittlerweile Verfahren entwickelt, welche diese Bedenken widerlegen. Außerdem: Ressourcenschonung ist auch Klimaschutz! Durch Bereitstellung lokaler Ressourcen werden Transportkosten reduziert und transportbedingte CO2 Kosten verringert.

Welche Mengen fallen im Bereich Bauschutt eigentlich in Deutschland bzw. in Europa an? Welcher Anteil davon dürfte nach Ihrer Einschätzung wiederverwertbar sein?
Nach Angabe des Umweltbundesamtes fallen in Deutschland rund 220 Mio. t mineralische Bauabfälle an. Davon bestehen knapp 60 Mio. t aus Bauschutt mit den Hauptkomponenten Beton, Kalksandstein, Ziegel und Gips. Davon werden 46,6 Mio. t, also fast 80 %, recycelt. Weitere 9,6 Mio. t werden in Deponien verbaut oder verfüllt. Die restlichen 3,6 Mio. t werden auf Deponien beseitigt. Allerdings gilt bei dieser Betrachtung des UBA auch die thermische Behandlung und die Verfüllung als „Recycling“, das ist unseres Erachtens jedoch reines „Downcycling“. 70 % des Altbetons werden etwa im Straßenunterbau verwertet, obwohl man damit ja keine Materialkreisläufe schließt und für neue Produkte weiterhin primäres Material benötigt. Auch hier kann man offenkundig nicht von einer gleichwertigen Wiederverwendung sprechen. In Deutschland werden letztlich nur knapp 13 % der benötigten mineralischen Rohstoffe durch sekundäre ersetzt. Demnach müsste die wirkliche Recyclingquote unseres Erachtens viel geringer als die bislang Benannte sein.

Bauschutt besteht vor allem aus Verbundwerkstoffen. Diese können sie am IBP mit dem Verfahren der elektrodynamischen Fragmentierung (EDF) in ihre nutzbaren Bestandteile zerlegen. Wann wird EDF die Marktreife erlangen und in größerem industriellen Maßstab einsetzbar sein?
Dr. Volker Thome, der Kopf hinter diesem Recyclingverfahren für Altbeton und weitere Materialien, und auch ich erwarten eine Marktfähigkeit in ca. drei Jahren. Unser Arbeits- und Zeitplan sieht den Bau einer EDF-Anlage mit einer Kapazität von 10 Tonnen pro Stunde innerhalb dieses Zeitraums vor. Erhalten wir die Finanzierungszusage für diese flexible Forschungsplattform am IBP, können wir die für Industrieanlagen benötigten optimalen Parameter ermitteln. Wir wollen in drei Phasen vorgehen. Erstens eine Machbarkeitsstudie zum Nachweis der Skalierbarkeit für das jeweilige Material mit dem Bau eines ersten Prototyps mit einem Durchsatz von 3 Tonnen je Stunde. Zweitens die Entwicklung der Peripheriegeräte, die Optimierung der Prozess-Parameter sowie der Bau der Plattform mit 10 Tonnen pro Stunde. Drittens der Bau einer kontinuierlich laufenden Industrieanlage. Nach drei Jahren, mit Start von Phase drei, könnten also Industrieanlagen auf dem Markt angeboten werden.

Am IBP wurden weitere Verfahren zur Gewinnung von Sekundärrohstoffen aus Bauschutt entwickelt. Worum handelt es sich bei der „BauCycle“-Sortierung sowie Entsulfatierung und Rückgewinnung?
BauCycle ist eine elektrooptische Sortiertechnik für Bauschutt-Hauptbestandteile, also Beton, Ziegel, Kalksandstein und Gips mit Korngrößen zwischen 2 bis 80 mm. Sie ist marktfähig und könnte in bereits bestehende Sortieranlagen integriert werden. Die Software dazu wurde mit dem Fraunhofer IOSB entwickelt und kann zusammen mit dem IBP auf andere Bauschuttbestandteile, z.B. Porenbeton, Asphalt und weitere erweitert werden. Eine Technikumsanlage (Versuchsanlage) hierfür bauen wir bis März 2023 am IBP auf.
Die Entsulfatierung von Bauschutt (ENSUBA) wird benötigt, um den Gipsanteil aus Bauschutt-Feinfraktionen unter 2 mm herauszulösen. Das ist bei der Deponierung von Bauschutt teuer, weil Sulfat-Auswaschungen verhindert werden müssen. Ein ENSUBA-Demonstrator wird derzeit in einem öffentlichen Projekt (RESycling) gebaut und sollte bis 2025 am IBP fertiggestellt sein. Das IBP arbeitet hierzu mit einem Prozesswasseraufbereiter und zurzeit in drei weiteren Projekten mit Bauschuttaufbereitern zusammen.

Welches ökonomische Potenzial könnten die im IBP entwickelten Lösungsschritte in den nächsten Jahren entfalten? Wer wären „natürliche“ Partner aus der Industrie?
Das Potenzial ergibt sich erstens aus der Schließung von Materialkreisläufen, da man in Produkten wie Porenbeton, Pflanzgranulaten und diversen anderen Erzeugnissen geeignete Bauschuttfraktionen anstelle primärer Rohstoffe verwenden kann. Zweitens erhält man mit BauCycle nahezu sortenreine Fraktionen, welche sich direkt wiederverwerten lassen. Ein Beispiel ist sortierter Ziegelbruch für Pflanzgranulate. Drittens können mit dem ENSUBA-Verfahren 5 Mio. Tonnen an jährlich anfallenden Bauschutt-Feinfraktionen mit einer Korngröße unter 2 mm, die derzeit komplett deponiert werden, relativ einfach und energiesparend aufbereitet werden. Als Produkt entstehen so zum einen sulfatfreie, kalkhaltige Fraktionen als Ersatzrohstoff für Zementwerke. Zum anderen gewinnen wir Ammoniumsulfat-Lösung, die als Flüssigdünger in der Landwirtschaft eingesetzt werden kann. Und viertens erzeugt die elektrodynamische Fragmentierung (EDF) von Beton neben hochwertigem RC-Kies auch eine Feinstfraktion, welche sekundären Kalk enthält. Setzt man diesen bei der Zementproduktion ein, könnten 2/3 der dortigen CO2 Emissionen klimaneutral sein. In Deutschland entstehen bei der Zementproduktion jährlich 20 Mio. Tonnen CO2. Die Verwendung von sekundärem statt primärem Kalk könnte dort 14 Mio. Tonnen CO2 einsparen.
Natürliche Partner der Industrie sind die Zementindustrie inkl. Transportbeton- und Betonfertigteilwerke sowie Bauschuttaufbereiter. Hinzu kommen Kunden mit Spezialbetonen, welche mit mechanischen Methoden nicht oder nur schwierig aufzubereiten sind (z.B. Stahlfaserbeton, Bahnschwellen, hochfeste Betone). Auch Deponiebetreiber, Müllverbrennungsanlagen, Zulieferer für keramische Rohstoffe, Anlagenbauer, Wasseraufbereiter und Hersteller von Generatoren können von den neuen Technologien stark profitieren.